Eine Arbeitshilfe des Bündnisses ‚AufRecht bestehen‘ für Beziehende von Bürgergeld (SGB II) sowie Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung der Sozialhilfe (SGB XII) sowie Beratende im Bereich der Existenzsicherung.
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Am 1. Januar 2024 ist für viele nach dem SGB II und SGB XII leistungsberechtigte Menschen die sogenannte Karenzzeit in Bezug auf die Kosten der Unterkunft ausgelaufen. Die Karenzzeit ist ein Zeitraum – in der Regel das erste Jahr im Bezug von Leistungen – in dem die Unterkunftskosten, d.h. die Miete oder die laufenden Kosten für ein Eigenheim, vom Jobcenter oder Sozialamt in tatsächlicher Höhe anerkannt werden. Nach Ablauf dieser Schonfrist können die Behörden verlangen, dass „unangemessen hohe“ Wohn- bzw. Unterkunftskosten auf die angemessene Höhe, die sogenannten Mietobergrenze, abgesenkt werden. Dieser Vorgang nennt sich Kostensenkungsverfahren.
Die Höhe der angemessenen Unterkunftskosten wird vom kommunalen Träger der Sozialhilfe festgesetzt. Das sind die Landkreise oder kreisfreien Städte. Die Angemessenheitsgrenze orientiert sich in der Regel an den Kosten für eine günstige Mietwohnung mit einfacher Ausstattung auf dem örtlichen Wohnungsmarkt. Meist sind die Werte derart niedrig festgesetzt, dass es schwierig ist, auf dem kommunalen Wohnungsmarkt überhaupt eine angemessene Wohnung anzumieten. Die kommunalen Träger, welche die örtlichen Angemessenheitsgrenzen bestimmen, habe ein starkes finanzielles Interesse daran, dass diese Grenzen niedrig ausfallen, weil sie ein Teil der Unterkunftskosten aus ihrem Haushalt finanzieren müssen.
Warum sind ab 2024 voraussichtlich viele Leistungsberechtigte mit Kostensenkungsaufforderungen konfrontiert?
Alle Leistungsberechtigte, die vor 2023 bereits Leistungen bezogen haben und deren Unterkunftskosten über den Mietobergrenzen liegen bzw. nach Ansicht von Jobcenter oder Sozialamt unangemessen hoch waren (und noch immer sind), haben zum Januar 2023 von der Karenzzeitregelung profitiert, die mit Inkrafttreten des Bürgergeldgesetzes auf alle Leistungsberechtigten im laufenden Bezug angewendet wurde.
Davor gab es ab März 2020 eine längere Periode, in der aufgrund von sozialen Schutzregelungen während der Corona-Pandemie eine Senkung der Unterkunftskosten von Sozialämtern und Jobcentern nicht gefordert werden durfte. Die tatsächlichen Unterkunftskosten mussten von den Behörden anerkannt werden, damit sich Leistungsberechtigte in Zeiten der Pandemie keine Sorgen um die Finanzierung ihrer Wohnung machen mussten. Allerdings wurde bekannt, dass sich viele Jobcenter und Sozialämter nicht an die Vorgaben gehalten und rechtswidrig Kostensenkungsverfahren eingeleitet haben.
Weil aber die Schutzregelung für die Wohnung aus der Coronazeit ab Januar 2023 nahtlos in die erste Karenzzeitphase übergegangen ist, gehen wir davon aus, dass ab Januar 2024 ungewöhnlich viele Menschen in Bezug von Bürgergeld oder Sozialhilfe in „unangemessen teuren“ Wohnungen wohnen und viele Behörden den Ablauf der „Schonfrist“ nutzen werden, um Kostensenkungsverfahren einzuleiten.
Wie läuft das Kostensenkungsverfahren ab?
Das Kostensenkungsverfahren wird durch eine sogenannte Kostensenkungsaufforderung der Behörde eingeleitet. Es handelt sich hier lediglich um ein Informationsschreiben, gegen das kein Widerspruch eingelegt werden kann. Mit dem Schreiben werden Leistungsberechtigte aufgeklärt, dass ihre Unterkunftskosten über den angemessenen Kosten liegen und dass sie in der Regel sechs Monate Frist eingeräumt bekommen, um ihre Kosten auf das angemessene Maß zu senken. Das Schreiben enthält ferner die Angaben der für die jeweilige Haushaltsgröße angemessenen Mietobergrenze. In den meisten Fällen werden diese angemessenen Kosten als Bruttokaltmiete (Miete inklusive kalter Nebenkosten) ohne Heizkosten angegeben.
Die betroffenen Haushalte haben dann sechs Monate Zeit, um die Kosten durch einen Wohnungswechsel, durch Untervermietung oder durch Verhandlungen mit den Vermietenden zu senken, wobei Letzteres eher unwahrscheinlich sein wird. Eine Kostensenkung durch Umzug beschränkt sich auf die jeweilige Stadt oder – in ländlichen Regionen – den örtlichen Nahbereich. Während dieses Zeitraums werden die tatsächlichen Kosten der Wohnung weiterhin finanziert. Der Sechsmonatszeitraum, in dem die tatsächlichen Kosten weiter übernommen werden, darf nur in Ausnahmefällen unterschritten werden, etwa, wenn Sie gegenüber dem Amt unmissverständlich klar machen, dass Sie gar nicht bereit sind, ihre Kosten zu senken, und dort auch keine angeforderten Nachweise über die Wohnungssuche einreichen.
Wann ist eine Kostensenkung nicht zumutbar?
Eine Kostensenkung ist vorübergehend oder dauerhaft nicht zumutbar, wenn Leistungsberechtigte aus gesundheitlichen Gründen oder wegen des Alters, einer Pflegebedürftigkeit oder einer Behinderung nicht umziehen können oder auf ein Wohnumfeld mit entsprechenden Unterstützungsangeboten angewiesen sind.
Auch eine Überlastung aufgrund einer akuten Erkrankung, Immobilität nach einer OP oder (insbesondere bei Alleinerziehenden) einer Schwangerschaft kann dazu führen, dass ein Umzug vorübergehend nicht zumutbar ist. Wenn ein Umzug unter Umständen dazu führen würde, dass Kleinkinder die Kita oder Schulkinder die Grundschule wechseln müssten, kann die Wohnungssuche räumlich auf den näheren Einzugsbereich der Einrichtung beschränkt werden.
Die genannten Gründe, warum eine Kostensenkung durch Umzug nicht zumutbar ist, sollten Leistungsberechtigte unverzüglich gegenüber der Behörde darlegen und mit Belegen untermauern (z.B. ärztliche Atteste, Pflegegutachten, Stellungnahme einer fachkundigen Stelle oder Einrichtung usw.). Jobcenter und Sozialämter haben über die Zumutbarkeit der Kostensenkung eine Entscheidung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles zu treffen, ob das Kostensenkungsverfahren fortgesetzt werden kann. Gegen diese Entscheidung kann bei Bedarf Widerspruch eingelegt werden (s.u.).
Wann ist eine Kostensenkung nicht möglich?
Wenn Leistungsberechtigte glaubhaft machen können, dass es ihnen unter den Bedingungen eines angespannten oder stark eingeschränkten örtlichen Wohnungsmarktes nicht möglich war, innerhalb der Kostensenkungsfrist eine angemessene Wohnung anzumieten, müssen die Unterkunftskosten der bisherigen Wohnung in tatsächlicher Höhe auch nach Ablauf der Sechsmonatsfrist weiter übernommen werden. Daher empfehlen wir, die Bemühungen der Wohnungssuche über den gesamten Zeitraum zu dokumentieren und bei Bedarf dem Jobcenter oder Sozialamt vorzulegen.
Es gibt keine gesetzlich vorgeschriebenen Anforderungen an eine solche Dokumentation, jedoch sollte möglichst übersichtlich aufgelistet werden, wann Wohnungssuchende sich in welcher Form auf ein konkretes Angebot (Anzeige, Name, Telefonnummer, Chiffre, Makler usw.) beworben haben, was das Ergebnis war (z.B. Wohnung zu teuer, konkrete Absage oder keine Rückmeldung…) und – falls bekannt – der Grund der Ablehnung. Solche Gründe könnten z.B. sein, dass die Wohnung bereits vergeben war, Vermieter*innen grundsätzlich nicht an Beziehende von Sozialleistungen vermieten, ein negativer Schufa-Eintrag zum Ausschluss führte oder die Anzahl der Bewerbungen aufgrund hoher Nachfrage begrenzt wurde. Je konkreter und umfassender die Angaben, desto glaubhafter die Dokumentation. Eine konkrete Anzahl von Wohnungsbewerbungen oder eine Bescheinigung der Vermieter- bzw. Angebotsseite über eine Vorsprache/ Anfrage darf hingegen vom Amt nicht gefordert werden. Die Anforderungen orientieren sich an den individuellen Mitteln und Möglichkeiten der Wohnungssuchenden sowie an den Gegebenheiten des örtlichen Wohnungsmarktes.
Wie setze ich mich gegen Kostensenkungsbescheide zur Wehr?
Wenn die Behörde nach Ablauf der Kostensenkungsfrist die bewilligten Unterkunftskosten der Leistungsberechtigten auf die Angemessenheitsgrenze kürzt, obwohl diese dargelegt haben, dass ein Wohnungswechsel nicht zumutbar ist oder eine angemessene Wohnung auf dem örtlichen Wohnungsmarkt nicht verfügbar war, sollte gegen den ersten Bewilligungsbescheid, mit dem die Kostensenkung vollzogen wurde, Widerspruch eingelegt werden. Das gilt auch für einen Bescheid, mit dem die Unzumutbarkeit eines Wohnungswechsels abgelehnt oder eine Kürzung der Unterkunftskosten vor Ablauf der Sechsmonatsfrist vollzogen wurde. Der Widerspruch ist innerhalb von einem Monat nach Zugang des ablehnenden bzw. kürzenden Bescheides schriftlich mit Unterschrift oder digital mit zertifiziertem Identitätsnachweis einzulegen.
Betroffene Leistungsberechtigte sollten in solchen Fällen Rat und Unterstützung von einer örtlichen Beratungsstelle einholen. Unter Umständen kann es sinnvoll sein, eine versierte Rechtsanwältin oder einen Anwalt einzuschalten.
Weitere Informationen:
Adressen von Beratungsstellen und weiteren Unterstützungsangeboten sind unter anderem verzeichnet unter:
erwerbslos.de/adressen oder sozialportal.net (ab Februar/ März 2024 verfügbar) sowie auf den Webseiten der Wohlfahrtsverbände.
Die Arbeitshilfe wurde im Auftrag des Bündnisses ‚AufRecht bestehen‘ erstellt von
Helga Röller, Herbert Grunert und Frank Jäger
Stand: Februar 2024
Das Bündnis „AufRecht bestehen“ wird von der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO), „ARBEITSLOS – NICHT WEHRLOS“ Wolfsburg (ANW), Bundesarbeitsgemeinschaft Prekäre Lebenslagen (BAG PLESA), Gruppe Gnadenlos Gerecht Hannover, Gewerkschaftliche Arbeitslosengruppe im DGB-KV Bonn/Rhein-Sieg, Frankfurter Arbeitslosenzentrum e.V. (FALZ), Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS), Tacheles e.V. Wuppertal, ver.di Bundeserwerbslosenausschuss, Widerspruch e.V. Bielefeld sowie vielen örtlichen Bündnissen und Initiativen getragen.
Zum Thema Wohnen – Positionen und Arbeitshilfen des Bündnisses ‚AufRecht bestehen‘:
Wohnen ist Menschenrecht
Eine Wohnung ist mehr als ein Dach über dem Kopf. Wohnen ist für jeden Menschen ein existenzielles Bedürfnis. Eine Wohnung, in der man sich zuhause fühlt, ist Grundvoraussetzung für das psychische Wohl und die Teilhabe an der Gesellschaft…
Positionspapier des Bündnisses ‚AufRecht bestehen‘
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