Einführung Mehrbedarf für Warmwasser zum 1. Januar 2011

Die Einführung des Mehrbedarfs für Warmwasser im SGB II und SGB XII zum 1. Januar 2011*

Anmerkungen zum Gesetzgebungsverfahren und zu den Auswirkungen der Neuregelung

(*Dieser Artikel ist eine ergänzte und 2024 mit Anmerkungen überarbeitete Fassung des Stichworts „Warmwasser“ aus dem Leitfaden Alg II / Sozialhilfe von A – Z, vom Juli 2011. Gesetzesangaben beziehen sich auf den Zeitpunkt nach Inkrafttreten des „Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch“ am 21.03.2011.)

Die Übernahme der Kosten für Warmwasser im Rahmen der Unterkunftskosten ab 2011 war eine Verbesserung zugunsten der Leistungsberechtigten. In der Praxis wirft die Gesetzesänderung allerdings einige Fragen auf, die hier geklärt werden sollen. Ein weiteres Augenmerk wird auf die fehlerhafte und nicht sachgerechte Bemessung der Warmwasserpauschale geworfen, die Leistungsbeziehende benachteiligt. Eine offizielle Begründung des Gesetzgebungsverfahrens liegt weder als Bundestags- bzw. Bundesratsdrucksache noch als andere öffentlich zugängliche Quelle vor. Daher stelle ich die „Anlage 3, Regelungsvorschlag für den Vermittlungsausschuss“ vom 06.02.2011, die den zugrundeliegenden Gesetzestext und eine Begründung enthält, zu Dokumentationszwecken zur Verfügung.

1. Vorbemerkung

Die zähen Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition, die eine Verabschiedung des „Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch“ durch den Bundesrat sicherstellen sollten, zogen sich bis Ende Februar 2011 hin. Eigentlich hätte das Gesetz bereits im Januar 2011 in Kraft treten müssen, um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts – u.a. die Neufestsetzung der SGB II/SGB XII-Regelsätze als soziokulturelles Existenzminimum – zu erfüllen. Offensichtlich fiel den verhandelnden Expert*innen der Parteien erst zu Beginn dieses Jahres auf, dass bei der Ermittlung des neuen Regelsatzes, zu neudeutsch „Regelbedarf“, der Energieanteil für die Warmwasserbereitung – absichtlich oder versehentlich, das wird heute kaum noch zu klären sein – „vergessen“ wurde. Da die Bundesregierung, die den Erhöhungsbetrag der Regelleistung von fünf Euro bereits im September 2010 öffentlich gemacht hatte, zu diesem Zeitpunkt keine Neuberechnung der Regelsätze und eine entsprechende Erhöhung der Leistung um den Warmwasseranteil hätte rechtfertigen können, wurden die Warmwasserkosten kurzerhand in die Kosten für Unterkunft und Heizung verschoben. Mit dieser kostspieligen, in der Öffentlichkeit aber weitgehend unbekannten Lösung, konnte der Gesichtsverlust der zuständigen Ministerin, Ursula von der Leyen, abgewendet werden. Schließlich gab es am Ende, bei der Verabschiedung des „Regelbedarfsermittlungsgesetzes“ auf der politischen Bühne in Berlin nur GewinnerInnen.

Die Neuregelung der Warmwasserkosten ist im Vergleich zur Fünf-Euro-Erhöhung eine deutliche materielle Verbesserung gegenüber dem vorherigen Zustand, weil sie eine indirekte Erhöhung der Regelsätze bewirkt. Sie gilt wie die Erhöhung der Regelsätze rückwirkend zum Januar 2011. Weil die Hereinnahme der mit Warmwasserversorgung verbundenen Energiekosten in die Unterkunftskosten aber mit heißer Nadel gestrickt wurde, wirft die Regelung etliche Fragen auf. Im SGB-II-Gesetzestext selbst stoßen wir auf einige unklare Formulierungen und bei der Bemessung des Warmwasseranteils an der Haushaltsenergie auf einen eklatanten Berechnungsfehler.

2. Warmwasserkosten in den Unterkunftskosten

„Leistungen für Heizung und zentrale Warmwasserversorgung werden in tatsächlicher Höhe erbracht, soweit sie angemessen sind.“ (§ 35 Abs. 4 Satz 1 SGB XII, neue Fassung) Das ist in der Neufassung des Unterkunftskostenparagraphen im SGB XII eindeutig formuliert und entspricht der Intention des Gesetzgebers (Anlage 3, Regelungsvorschlag für den Vermittlungsausschuss, 06.02.2011, S. 3). Das gilt auch für das SGB II, obwohl es die entsprechende Regelung scheinbar aufgrund des hektischen Gesetzgebungsverfahrens nicht mehr rechtzeitig in den § 22 SGB II neue Fassung „Bedarfe für Unterkunft2 geschafft hat. Im SGB II finden wir dafür zwei deutliche Hinweise für die Übernahme der Warmwasserkosten:

– In § 20 Abs. Satz 1 SGB II neu steht, dass der Regelsatz (neu „Regelbedarf2) „… Haushaltsenergie ohne die auf Heizung und auf die Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile …“ umfasst.

– In § 21 Abs. 7 SGB II neue Fassung wird ein Mehrbedarf für dezentrale Warmwassererzeugung anerkannt, „… soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird … und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden“ (ebenso: § 30 Abs. 7 SGB XII neue Fassung; zur Bedeutung der Regelung s. 4.1 ff.).

Bis Ende 2010 waren die Kosten für Warmwasserbereitung im Anteil für Haushaltsenergie des Regelsatzes enthalten. Infolge der zum 01.01.2011 rückwirkenden Änderung müssen die Sozialbehörden ohne Aufforderung von Amts wegen alle Leistungen ab Januar 2011 neu berechnen und Leistungen nachzahlen. Dieses Korrekturverfahren dauert bis ins Jahr 2011 hinein an und dürfte eine ergiebige Quelle für Berechnungsfehler sein.

3.1 Warmwasserkosten bei zentralen Heizanlagen

Wenn Warmwasserkosten in den Heizkosten enthalten sind, werden sie „in tatsächlicher Höhe erbracht, soweit sie angemessen sind“ (§ 35 ebenda). Das ist bei „zentraler Warmwasserversorgung“ natürlich der Fall. Wenn Warmwasser also durch eine zentrale Heizanlage bereitet wird und die Kosten der Warmwasserbereitung in Form monatlicher Vorauszahlung und ggf. Nachzahlungen an den Vermieter gezahlt werden, sind diese als Unterkunftskosten zu übernehmen.

Das trifft erst recht auf größere Wohnhäuser mit Zentralheizung/Fernwärme zu, in denen die Warmwasserkosten pro Wohneinheit häufig getrennt abgelesen und berechnet werden.

Auch wenn die Bundesregierung nur „zentral bereitgestelltes Warmwasser“ im Gesetzestext erwähnt hat, muss die neue Regelung auch gelten, wenn Warmwasser mittels Heizenergie „dezentral“ bereitet wird (vgl. Anlage 3, Regelungsvorschlag für den Vermittlungsausschuss, 06.02.2011, S. 3). Das ist regelmäßig der Fall, wenn in der Wohnung z.B. eine Gasetagenheizung mit einem integrierten Durchlauferhitzer betrieben wird. Aufgrund der Neuregelung ist es nun nicht mehr nötig, die Kosten für Heizung und Warmwasser getrennt zu berechnen. Die Gesamtkosten für Heizenergie müssen nun im Rahmen der Unterkunftskosten vollständig übernommen werden.

Nach der gesetzlichen Regelung zur Erstattung der Unterkunftskosten sind zunächst die tatsächlichen Warmwasserkosten zu berücksichtigen, soweit sie angemessen sind. Im Regelfall muss die Behörde also tatsächliche Vorauszahlungen und ggf. Nachzahlungen für Warmwasserkosten übernehmen.

3.2 Was sind angemessene Warmwasserkosten?

Es ist aber damit zu rechnen, dass viele Landkreise/Kommunen enge Kostenvorgaben für die Warmwasserbereitung machen werden. Da es noch keine Rechtsprechung diesem neuen Leistungsbestandteil gibt, können hier noch keine Angaben gemacht werden. Warmwasserpauschalen, die den Bedarf nicht annähernd decken, sind aber auf jeden Fall genauso unzulässig wie feste Obergrenzen. In atypischen Fällen muss eine Entscheidung nach der Besonderheit des Einzelfalles immer möglich sein. Daher wird auch beim Warmwasser immer von einer „Prüfgrenze“, nicht Obergrenze, auszugehen sein bis zu der die Kosten ungeprüft übernommen werden müssen.

Mit Inkrafttreten des „Regelbedarfsermittlungsgesetzes“ dürfen Landkreise und Kommunen unter bestimmten Voraussetzungen „Satzungen“ erlassen (§§ 22a – 22c SGB II neu), in den u.a. regionale Pauschalen und Höchstwerte für Unterkunftskosten festgelegt werden. Hierunter fallen auch die Warmwasserkosten. Alle Werte müssen auf qualifizierten Datenerhebungen basieren und regelmäßig überprüft werden. Man wird gespannt sein können, welche Angemessenheits- bzw. Prüfgrenzen hier für Heiz- und Warmwasserenergiekosten festgelegt werden.

4.1 Warmwasserbereitung dezentral mit Strom

Wird Warmwasser dezentral mittels elektrischen Durchlauferhitzers oder durch einen Boiler erwärmt, sind die tatsächlichen Kosten für die Warmwasserbereitung kaum zu beziffern. Sie fallen versteckt mit der monatlichen Stromrechnung und werden aus dem Regelsatz bestritten. In diesem Fall wird rückwirkend ab Januar 2011 ein Mehrbedarfszuschlag für Warmwasserkosten anerkannt, der nach Art und Anzahl der Personen ihrer Bedarfsgemeinschaft berechnet wird (§ 21 Abs. 7 SGB II neu; § 30 Abs. 7 SGB XII neu). Dieser Zuschlag soll auch gezahlt werden, wenn Sie z.B. mit Öl heizen, aber mit Gas Kochen und Warmwasser bereiten. Mit dieser Pauschale soll Ihr Warmwasserbedarf gedeckt sein.

Tabelle: Mehrbedarf: Kosten der Warmwasserbereitung (Stand 2011, ergänzt und aktualisiert 2024)

Die Pauschalen für Warmwasser gehen auf eine Empfehlung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge aus dem Jahr 1991 zurück. Hiernach entfallen in Haushalten mit dezentraler Warmwasserversorgung 30 % der Haushaltsenergie (Strom) auf die Warmwasserversorgung. Den 30-Prozent-Anteil haben die „Armutsforscher“ der Bundesregierung aus den in der jeweiligen Regelbedarfsstufe enthaltenen Beträgen für Haushaltsenergie gebildet. Das Ergebnis wurde schließlich als Prozentanteil des jeweiligen Regelsatzes dargestellt (siehe Tabelle letzte Spalte).

4.2 Zwei gravierende Fehler bei der Bemessung der Warmwasserpauschale

a.) Energie- und Warmwasseranteil im Kinderregelsatz – nicht sach- und bedarfsgerecht ermittelt

Schon bei der Berechnung der Energieanteile im Regelsatz für Kinder und Jugendliche wurde ein Verfahren entwickelt, das kaum geeignet ist, den tatsächlichen Bedarf abzubilden. Hier kommen ernsthafte Zweifel an der Wissenschaftlichkeit des Verfahrens auf, die einen geeigneten Angriffspunkt bieten, die Verfassungsmäßigkeit des Kinderregelsatzes erneut vor dem BVerfG prüfen zu lassen. Beim Anteil für Haushaltsenergie an sich wären die niedrigen Werte im Kinderregelsatz wohl kaum aufgefallen und angreifbar gewesen. Betrachtet man aber die Auswirkungen der Berechnungsmethode auf die Energieanteile für Warmwasser wird der Fehler offensichtlich.

Auf der Grundlage der Sonderauswertung für Familienhaushalte der EVS 2008 ergeben sich besonders im Kinderregelsatz sehr niedrige Haushaltsenergieanteile. Die Kinderregelsätze von 2011 wurden erstmalig anhand der separierten Verbrauchsausgaben für Dreipersonenhaushalte (Paar mit Kind der jeweiligen Altersstufe) ermittelt. Bei den Ausgaben für Wohnungsinstandhaltung und Strom wurden die Haushaltsausgaben anhand eines Verteilungsschlüssels aufgeteilt. Auf das Kind entfallen demnach die Stromkosten auf der Basis des Anteils eines Kinderzimmers an der gesamten Wohnfläche des Haushalts. (BT-Drs. 17/3404, 64 ff.) Das erklärt, warum trotz Erhöhung des Stromanteils im Regelsatz der Stromanteil der Kinder in den Keller gefallen ist. Bedarfsgerecht sieht anders aus!

Daraus werden mit dem 30-Prozent-Anteil für Warmwasserenergie Beträge errechnet, die derart niedrig ausfallen, dass sie auf der Grundlage allgemeiner Erfahrungswerte nicht bedarfsdeckend sein können. So dürfte gerade bei Kleinkindern der Anteil der für die Hygiene benötigten Warmwasserenergie an der gesamten Haushaltsenergie wesentlich höher liegen, als die hierfür vorgesehenen 1,74 € pro Monat.

In einer internen Erläuterung des Vermittlungsausschusses zu den Änderungen bei den Warmwasserkosten werden, um die Validität des 30-Prozent-Warmwasseranteils zu belegen, als aktuelle Datengrundlage nur Haushaltsenergiekosten von Einpersonenhaushalten herangezogen (Anlage 3, Regelungsvorschlag für den Vermittlungsausschuss, 06.02.2011, S. 4). Den Energieverbrauch von Kindern kann man hiermit allerdings nicht überprüfen. Nach dem Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 darf der Kinderbedarf ja nicht einfach vom Erwachsenenbedarf abgeleitet werden. Das gilt auch für den Energieanteil für Warmwasserbereitung.

b.) Grober Schnitzer bei der Berechnung des Warmwasseranteils

Die „Regelbedarfsermittler“ der Bundesregierung haben die Bedarfsanteile für Warmwasserenergie als 30-Prozent-Anteile aus den Regelsatzpositionen für Haushaltsenergie gebildet, aus denen sie zuvor die Warmwasserkosten herausgerechnet hatten. Wenn der Eckregelsatz einen Betrag von 28,12 € für Haushaltsenergie enthält, in dem Kosten für Warmwasserbereitung gar nicht mehr berücksichtigt sind (ebenda, S. 3), kann dieser Betrag nicht für die Berechnung des Mehrbedarfszuschlags für Warmwasser zugrunde gelegt werden. Vielmehr müssen die Kosten für Haushaltsenergie von Haushalten zugrunde gelegt werden, die ihr Warmwasser dezentral mit Strom bereiten. Daraus muss der 30-Prozent-Anteil für Warmwasser berechnet werden.

Nach den Ausführungen der Bundesregierung betragen die um Warmwasserbereitung bereinigten Kosten für Haushaltsenergie nur 70 % der Energiekosten, welche Warmwasserkosten enthalten. Die Grundlage zur Ermittlung der Warmwasserkosten muss demnach 40,17 € statt 28,12 € betragen. Daraus ergibt sich bei Alleinstehenden/ Alleinerziehenden ein 30-Prozent-Anteil für Warmwasser von 12,05 € statt 8,37 €.

4.3 So müsste der Mehrbedarf für Warmwasser berechnet werden

Auf der Grundlage der Daten der EVS 2008 und deren Auslegung durch die Regelsatzermittler der Bundesregierung müsste der Mehrbedarf für Warmwasser also höher ausfallen. Um den Fehler zu beheben, müssen zunächst die Verbrauchsausgaben der EVS für Haushaltsenergie hochgerechnet werden auf Haushaltsenergiekosten, die Warmwasserenergie enthalten. Im zweiten Schritt muss aus diesen Beträgen der 30%-Anteil für Warmwasserkosten berechnet werden. Das ergibt die folgenden Mehrbedarfszuschläge:

Tabelle: Kosten der Warmwasserbereitung bei berichtigter Datengrundlage (Stand 2011*, ergänzt und hochgerechnet 2024)

Da es sich hier um einen grundlegenden Berechnungsfehler handelt, der sich beim Gesetzgebungsverfahren „eingeschlichen“ hat, ist zu empfehlen, die Bemessung der Warmwasserpauschale über ein gut vorbereitetes Musterverfahren überprüfen zu lassen. Es wäre Aufgabe von Wohlfahrtsverbänden, Organisationen oder Gewerkschaften eine solche Klage zu initiieren und fachlich zu unterstützen.

Leistungsbeziehende können von einem solchen Musterverfahren profitieren, und rückwirkend höhere Warmwasserpauschalen für sich beanspruchen. Dazu müssen sie rechtzeitig Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X stellen und beantragen, das Überprüfungsverfahren bis zur Entscheidung einer Musterklage ruhend zu stellen. Mittels Überprüfungsanträgen, die bis zum 31. Dezember 2012 gestellt werden, kann nach geänderter Rechtslage die Warmwasserpauschale rückwirkend zum 1. Januar 2011 in einer korrekt berechneten Höhe nachgefordert werden.

Der Höhe dieses Mehrbedarfs für Warmwasserbereitung kommt auch bei der Beurteilung der Angemessenheit der Kosten für zentral bereitetes Warmwasser als Orientierungsgrenze eine besondere Bedeutung zu. Es ist davon auszugehen, dass Kommunen und Kreise versuchen werden, in Ihren Satzungen angemessene Warmwasserkosten entlang dieser falsch berechneten, viel zu niedrigen Werte festzulegen.

4.4 Dezentrale und zentrale Warmwasserbereitung

Wird ein Teil der Warmwasserversorgung dezentral bereitet, z.B. in der Küche durch einen Wasserboiler/Durchlauferhitzer, und der andere Teil z.B. im Bad durch zentrale Warmwasserbereitung, „sind die Anteile beider Warmwasserquellen zu ermitteln und entsprechend die Kosten auf Nebenkosten [für Unterkunft]… und Mehrbedarf aufzuteilen“ (Anlage 3, Regelungsvorschlag für den Vermittlungsausschuss, 06.02.2011, S. 4).

Weil hier nur geschätzt werden kann, ist bei der Ermittlung der Kosten einer Mischbereitung darauf zu achten, dass das Jobcenter die Ermittlung auf Grundlage von realistischen Verbrauchsangaben vornimmt, sonst legen Leistungsbeziehende drauf.

5. Nachzahlungen aufgrund von Warmwasserverbrauch

Nachzahlungen für Warmwasser, die der Vermieter nach Abrechnung am Ende eines Ablesezeitraums fordert, sind seit Januar 2011 im Rahmen der Unterkunftskosten zu übernehmen, wenn die Gesamtkosten angemessen sind (→ 3.2).

Bei einer Nachzahlung von Haushaltsstrom und dezentraler Wasserbereitung mit Strom kann allerdings der „mutmaßliche“ Anteil der Warmwasserkosten nicht übernommen werden. Dieser wird pauschal mit dem Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II bzw. § 30 Abs. 7 SGB XII gedeckt.

6. Fazit

a.) Die Neuregelung erfordert eine Neuberechnung der SGB II-/SGB XII-Leistungen rückwirkend zum Januar 2011 von Amts wegen. Auch wenn Leistungsbeziehende hierzu keine Anträge stellen müssen, ist davon auszugehen, dass dieses Massenkorrekturverfahren eine ergiebige Quelle für Berechnungsfehler ist. Aufgabe der Sozialberatung ist es, Leistungsbeziehende über die geänderten Regelungen aufzuklären, für Berechnungsfehler zu sensibilisieren und fehlerhafte Bescheide zu korrigieren.

b.) Die zentrale Frage für die Höhe der Leistungen ist die Frage der Angemessenheit der Warmwasserkosten, die bei zentraler Wasserbereitung zunächst in tatsächlicher Höhe durch die Leistungsträger übernommen werden müssen. Mit Blick auf die kommunalen Satzungen zur Regelung der Unterkunftskosten ist damit zu rechnen, dass Obergrenzen gezogen werden, die sich an den viel zu niedrigen Mehrbedarfszuschlägen für dezentrale Warmwasserbereitung orientieren. Hier muss eine an den tatsächlichen Aufwendungen orientierte und durch die Rechtsprechung gefestigte Erstattungsregelung gefunden werden, die Prüfgrenzen und darüber hinaus eine Entscheidung nach der Besonderheit des Einzelfalles vorsieht.

(Anm. des Autors 2024: Der weitgehend anerkannte Maßstab für die sogenannten „Prüfgrenzen“ bei der Berücksichtigung von zentral bereiteter Warmwasser- und Heizenergiekosten wird inzwischen durch herrschende Rechtsprechung gesetzt. Die Prüfgrenze orientiert sich an den Verbrauchswerten der letzten Spalte [Kategorie „zu hoch“] des bundesweiten Heizspiegels. Diese beträgt laut Heizspiegel 2023 i.d.R. 24 kWh/m² und Jahr und beruht auf empirischer Datengrundlage.)

c.) Beim Berechnungsverfahren der Warmwasserpauschale (Mehrbedarfszuschläge) treten fachliche Mängel zutage, die eine gerichtliche Klärung geradezu heraufbeschwören. Die Ableitung der Pauschale aus dem Energieanteil des Regelsatzes, der zuvor schon um die Warmwasserenergie bereinigt wurde, sollte alsbald in Form protegierter Musterverfahren der Sozialgerichtsbarkeit vorgelegt werden. Das Bemessungsverfahren für den Energie- und damit auch den Warmwasseranteil des Kinderregelsatzes entbehrt jeglicher empirischen Grundlage. Es muss im Rahmen der bereits angelaufenen Regelsatzverfahren thematisiert werden. Beide Mängel wurden durch ein hektisches und unprofessionelles Gesetzgebungsverfahren hervorgerufen. Ihre offen liegenden Angriffsflächen sind kaum zu übersehen.

(Anm. des Autors 2024: Das Bundessozialgericht [BSG] hatte mit Urteil von 07.12.2017 – B 14 AS 6/17 R zwar die zweifelhafte Berechnungsgrundlage der Warmwasserpauschale erkannt und entschieden, dass der Bedarf auch abweichend festgesetzt werden kann, jedoch hat die Bundesregierung zum 01.01.2021 durch eine Änderung der einschlägigen Normen § 21 Abs. 7 SGB II und § 30 Abs. 7 SGB XII für die Berücksichtigung höherer Warmwasserkosten einen Nachweis durch eine separate Messeinrichtung vorausgesetzt. In der Gewährungspraxis wurde die abweichende Festsetzung des Warmwasserbedarfs durch den Nachweis faktisch ausgehebelt. Allerdings hat das BSG mit Urteil vom 18.05.2022 – B 7/14 1/21 R entgegen früherer Behördenpraxis erneut bekräftigt, dass der Mehrbedarf für die dezentrale Warmwassererzeugung auch dann zusätzlich zu den Kosten für Heizgas zu gewähren ist, wenn das Warmwasser über eine in der Wohnung installierte Gaskombitherme „dezentral“ erzeugt wird.)

Frank Jäger
Tacheles-Onlineredaktion

Hintergrund

Die Einführung des Mehrbedarfs für Warmwasser im SGB II und SGB XII rückwirkend zum 1. Januar 2011 geht auf einen Kompromiss im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat am 06.02.2011 zurück. Eine offizielle Begründung des Gesetzgebungsverfahrens liegt weder als Bundestags- bzw. Bundesratsdrucksache noch als andere öffentlich zugängliche Quelle vor. Daher stelle ich die „Anlage 3, Regelungsvorschlag für den Vermittlungsausschuss“ vom 06.02.2011, die den zugrundeliegenden Gesetzestext und eine Begründung enthält, zu Dokumentationszwecken zur Verfügung.

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